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Ein Nutzgarten als Labyrinth
in Süderstapel
2011

Gemüselabyrinth 04

Gemüselabyrinth 01

Gemüselabyrinth 02

Gemüselabyrinth 03












Im Tanz liegt der Ursprung des Labyrinths. Seit Jahrtausenden und überall auf der Welt fassen sich Menschen an den Händen, bilden eine Reihe, eine Spirale, tanzen um einen ausgewählten, einen gedachten, auf jeden Fall einen symbolischen Mittelpunkt, um ihrer Toten zu gedenken, Jünglinge und Jungfrauen zusammenzubringen – oder einfach ein Fest zu feiern. Als Bauwerk gedacht wird das Labyrinth seit der Antike. Gezeichnet hat man es immer schon: in Felsen geritzt, auf Münzen geprägt, mit Tusche skizziert. Labyrinthe, meist kreisförmige oder achteckige, findet man in den großen französischen Kathedralen, mit schwarzen und weißen Platten in die Fußböden eingelegt und so groß, dass man darauf gehen kann. Und man findet sie in englischem Rasen: einige wenige Rasenlabyrinthe haben sich bis heute erhalten. Seit dem 16. Jahrhundert schließlich taucht das Labyrinth in den Traktaten der Gartengestalter auf. Und zum eigentlichen Labyrinth im ursprünglichen Sinne – dem Pfad nämlich, der zwar in Windungen, jedoch ohne Sackgassen oder Seitenwege zuverlässig in die Mitte und auch wieder heraus führt – gesellt sich das andere Labyrinth in der Tradition jener sagenhaften Anlage, welche Dädalus auf Kreta baute, um den Minotaurus zu irritieren. Im Unterschied zum eigentlichen Labyrinth, das die Bewegungsrichtung vorgibt und das Ziel in sicher erreichbare Ferne rückt, macht der Irrgarten mit seinen mannigfachen Möglichkeiten das Gehen zum Rätsel mit ungewissem Ausgang. Kult wird Spiel, Zeitvertreib ersetzt das Ritual.
Einen Gemüsegarten mit labyrinthisch angelegten Kieswegen hat Chup Friemert bereits im Jahr 2000 für die Raketenstation Hombroich entworfen, ein ehemaliges Nato-Gelände, das in den vergangenen zwanzig Jahren zu einem Kultur-Standort entwickelt und entsprechend bebaut wurde. Der Garten, als eine Art begehbare Skulptur gedacht, sollte aus zwei gleichgroßen, kreisförmig angelegten Bereichen mit mittlerem Zu- und Durchgang bestehen, mit einer zentralen Bewässerungsanlage ausgestattet und von hohen Betonmauern umgeben sein. Dieser Garten wurde von Katsuhito Nishikawa 2006/07 in veränderter Form als „Klostergarten“ realisiert. Chup Friemert indessen plante ihn für Süderstapel neu: als privaten Nutzgarten, der keiner hohen Einfriedung bedarf und keiner Betonmischmaschine, mit schmalerem Weg und schmaleren Beeten und einem kleinen Brunnen in der Mitte. Wie eine quadratische Insel, zehn auf zehn Meter, liegt er nun in einer wilden Wiese mitten im Dorf, umgeben von Häusern mit Gärten, auf einem Grundstück, das bis zum vergangenen Frühjahr als Pferdekoppel genutzt worden ist, insgesamt gut 2000 Quadratmeter groß. Dort gibt es auch einen Teich, ein Birkenwäldchen, einen Obstgarten und einen Walnussbaum, alles noch sehr jung.
Einen angelegten Weg zum Gemüselabyrinth gibt es nicht, jeder mögliche Weg dorthin ist der richtige. Das Labyrinth seinerseits hat keinen Weg – es IST Weg, Gartenweg im besten Sinne – sofern man zuzugeben bereit ist, dass ein solcher allenfalls vordergründig dazu dient, Gärtner und Besucher an bestimmte Stellen zu führen, und das so schnell wie möglich. Sind denn die Wege im Garten nicht wesentlich dazu da, das Gehen im Garten zum Genuss zu machen, den Blick in bestimmte Richtungen zu lenken und dem Garten zur Bewunderung zu verhelfen, die ihm gebührt? Und ist nicht jeder Gartenweg immer auch dazu da, hier und da von ihm abzukommen? Ein solcher Weg jedenfalls ist Chup Friemerts Gemüselabyrinth. Im Frühjahr, zur Zeit des Säens und des Pflanzens, wenn alles noch zart und klein und bedroht ist und das wache Auge und die strenge Kontrolle mit entscheiden über Sein oder Nichtsein auf dem Gemüsebeet, später auch, zur Zeit des Jätens und des Gießens, bereitet es dem Gärtner Nutzen und Freude, dem Labyrinthweg zu folgen. Jedes Beet und jede Pflanze bekommt er so zu Gesicht, von vorn einmal und dann von hinten. Nicht jedoch folgt man dem Labyrinth, wenn man es eilig hat. Der eilige Gärtner weiß die schmalen Beete zu schätzen, die stets – dort zumindest, wo niedrige Pflanzen wachsen – mit einem Schritt leicht zu überschreiten sind, und bald hat er seinen eigenen kürzesten Weg über den strengen des Labyrinths hinweg gefunden. So lange zumindest, bis der Fenchel oder der Dill zu hoch gewachsen sind oder die Erbsen ihr Gestell bekommen haben. Dann wird er sich einen neuen Durchgang suchen. Ob labyrinthisch auf den Gehwegplatten oder in Seitensprüngen über die Beete hinweg: der Weg durch diesen Gemüsegarten ist der Weg des leidenschaftlichen Arbeiters, desjenigen, der Kräuter, Früchte und Gemüse anbaut, weil es ihm eine Lust ist und ein Vergnügen. Die Anlage seines Gartens trägt dazu bei, dass diese Lust auch dann nicht abhandenkommt, wenn der Rücken zu schmerzen beginnt, die Mücken stechen oder der Tag sich neigt und wieder manches nicht geschafft ist. Dieses Labyrinth macht den Nutzgarten zum Lustgarten und die Arbeit darin zum Tanz mit der Gärtnerin.                                                               Susanne Weiß
(Veröffentlicht in: Blätterrauschen, Zeitschrift der Gesellschaft zur Förderung der Gartenkultur, 22. Jg., Ausgabe 43, Herbst 2013)

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